Kollektive Identität

1 Konzeptualisierung

Das Konzept der kollektiven Identität wurzelt ebenso wie das Grundkonzept der Identität in der Beobachtung, dass die Interaktion zwischen zwei oder mehr Akteursgruppen minimal erfordert, dass sie als soziale Objekte verortet oder platziert werden. Dies zu tun bedeutet, Identitäten anzukündigen oder zu unterstellen. Daher ist die Interaktion zwischen Individuen und Gruppen als soziale Objekte von der gegenseitigen Zuschreibung und Bekenntnis von Identitäten abhängig. Dieser Charakter der Identität wird in Stones (1962) Konzeptualisierung von Identität als ‘Koinzidenz von Platzierungen und Ankündigungen’ hervorgehoben. Dieser Prozess gilt sowohl für Individuen als auch für Kollektive, und er war wahrscheinlich schon immer ein charakteristisches Merkmal der menschlichen Interaktion, sei es unter frühen Präliteraten oder unter denen in der modernen sozialen Welt. Dies zu bemerken, bedeutet nicht, die soziologische Binsenweisheit zu ignorieren, dass das Thema Identität problematischer und unruhiger wird, wenn Gesellschaften strukturell differenzierter, fragmentierter und kulturell pluralistischer werden (Castells 1997, Giddens 1991). Aber historische Unterschiede in dem Ausmaß, in dem Fragen der Identität problematisch sind, untergraben nicht die zweischneidige Beobachtung, dass die gegenseitige Zurechnung und das Bekenntnis von Identitäten eine notwendige Bedingung für die soziale Interaktion ist und dass Identitäten somit in den erforderlichen Bedingungen für die soziale Interaktion verwurzelt sind.

Die Abgrenzung der interaktionalen Wurzeln von Identitäten erklärt nicht, was die kollektive Identität auszeichnet, da es mindestens drei konzeptionell unterschiedliche Arten von Identität gibt: persönliche, soziale und kollektive. Obwohl sie sich oft überschneiden, kann man nicht aus dem anderen abgeleitet werden. Daher die Notwendigkeit, zwischen ihnen zu unterscheiden.

Soziale Identitäten sind die Identitäten, die anderen zugeschrieben oder zugeschrieben werden, um sie im sozialen Raum zu verorten. Sie basieren typischerweise auf etablierten sozialen Rollen wie ‘Lehrerin’ und ‘Mutter’ oder auf breiteren und integrativeren sozialen Kategorien wie Geschlechtskategorien oder ethnischen und nationalen Kategorien und werden daher oft als ‘Rollenidentitäten’ bezeichnet (Stryker 1980) und ‘kategorische Identitäten’ (Calhoun 1997). Unabhängig von ihrer spezifischen soziokulturellen Basis sind soziale Identitäten von grundlegender Bedeutung für die soziale Interaktion, da sie Orientierungspunkte für ‘Alter’ oder ‘andere’ als soziales Objekt bieten.

Persönliche Identitäten sind die Attribute und Bedeutungen, die der Schauspieler sich selbst zuschreibt; sie sind Selbstbezeichnungen und Selbstzuschreibungen, die als persönlich unterscheidbar angesehen werden. Sie werden besonders wahrscheinlich im Verlauf der Interaktion behauptet, wenn andere unterstellte soziale Identitäten als widersprüchlich angesehen werden, z. B. wenn Individuen in soziale Rollen oder Kategorien geworfen werden, die beleidigend und erniedrigend sind (Snow und Anderson 1987). Somit, Persönliche Identitäten können sich aus der Rollenbesetzung oder kategoriebasierten Mitgliedschaften ergeben, Sie sind jedoch nicht unbedingt vergleichbar, da die relative Bedeutung sozialer Rollen oder der Kategoriemitgliedschaft in Bezug auf die persönliche Identität sehr unterschiedlich sein kann.

So wie soziale und persönliche Identitäten unterschiedliche, sich jedoch typischerweise überlappende und interagierende Konstrukte sind, so ist dies die Beziehung zwischen kollektiven und sozialen und persönlichen Identitäten. Obwohl es keine einvernehmliche Definition der kollektiven Identität gibt, deuten Diskussionen des Konzepts unweigerlich darauf hin, dass sein Wesen in einem gemeinsamen Sinn von ‘Einssein’ oder ‘Wir-Sein’ liegt, verankert in realen oder imaginären gemeinsamen Attributen und Erfahrungen unter denen, die die Kollektivität und in Beziehung oder Kontrast zu einer oder mehreren tatsächlichen oder imaginären Gruppen von ‘anderen.’ Eingebettet in den gemeinsamen Sinn von ‘Wir’ ist ein entsprechender Sinn von ‘kollektiver Handlungsfähigkeit’.

Dieser letztere Sinn, der die Aktionskomponente der kollektiven Identität ist, legt nicht nur die Möglichkeit kollektiven Handelns zur Verfolgung gemeinsamer Interessen nahe, sondern lädt sogar zu einem solchen Handeln ein. So, Es kann argumentiert werden, dass kollektive Identität durch ein gemeinsames und interaktives Gefühl von ‘Wir-sein’ und ‘kollektiver Handlungsfähigkeit’ konstituiert wird.’ Dieser zweischneidige Sinn kann aus klassischen soziologischen Konstrukten wie Durkheims ‘kollektivem Gewissen’ und Marx ‘Klassenbewusstsein’ abgeleitet werden, spiegelt sich jedoch in den meisten konzeptionellen Diskussionen über kollektive Identität noch deutlicher wider, obwohl die agentische Dimension manchmal eher impliziert als direkt artikuliert wird (z. B. Castells 1997, Cerulo 1997, Eisenstadt und Giesen 1995, Jasper und Polletta 2001, Jensen 1995, Levitas 1995, Melucci 1989, 1995).

Ein gemeinsames Thema, das sich durch einen Teil der Literatur zieht, ist das Beharren darauf, dass kollektive Identität im Kern eher ein Prozess als ein Eigentum sozialer Akteure ist. Eine solche Arbeit erkennt an, dass kollektive Identität ‘eine interaktive und gemeinsame Definition’ ist, die an ‘ein Wir-Gefühl’ erinnert, hebt dann aber den Prozess hervor, durch den sich soziale Akteure als Kollektivität erkennen, und behauptet, dass dieser Prozess für die Konzeption kollektiver Identität wichtiger ist als jedes resultierende Produkt oder Eigentum (z. B. Melucci 1989, S. 34, 218, passim). Nur wenige Wissenschaftler würden eine Ausnahme von der Bedeutung des Prozesses machen, durch den sich kollektive Identitäten entwickeln, aber es ist sowohl fragwürdig als auch unnötig zu behaupten, dass der Prozess grundlegender ist als das Produkt, um den Charakter und die Funktionalität kollektiver Identität zu verstehen. Das Produkt oder ‘geteilte Wir’ erzeugt nicht nur ein Gefühl der Handlungsfähigkeit, das ein starker Impuls für kollektives Handeln sein kann, sondern es fungiert auch als Orientierungsidentität für andere Akteure im Handlungsfeld. Konkret ist es das konstruierte soziale Objekt, auf das die Protagonisten, Gegner und Zuschauer der Bewegung reagieren (Hunt et al. 1994), was wiederum Auswirkungen auf den Betrieb seines organisatorischen Trägers haben kann, was sich auf die Verfügbarkeit und den Charakter von Verbündeten, Ressourcen und sogar auf taktische Möglichkeiten auswirkt (Jensen 1995). Die anfängliche projizierte kollektive Identität kann kurzlebig und vergänglich sein und im Laufe des laufenden kollektiven (Inter-) Handelns modifiziert und sogar transformiert werden, aber die Menge der Eigenschaften, aus denen die anfängliche kollektive Identität besteht, sowie alle nachfolgenden, die entstehen, bilden Objekte der Orientierung und Interaktion für andere Kollektivitäten innerhalb des Handlungsfeldes.

Wenn anerkannt wird, dass kollektive Identitäten etwas Substanzielles haben, wie unterscheiden sie sich dann von sozialen und persönlichen Identitäten? Mehrere Faktoren scheinen am Werk zu sein. Erstens können kollektive Identitäten in bestehende soziale Identitäten eingebettet sein oder auch nicht, da sie oft auftauchen und sich entwickeln, anstatt fest in früheren sozialen Kategorien verwurzelt zu sein. Dies ist häufig der Fall bei den kollektiven Identitäten, die im Laufe dynamischer sozialer Protestereignisse entstehen (für aufschlussreiche Beispiele siehe Walders Forschung zur Pekinger Rotgardistenbewegung (2000) und Calhouns Bericht über die chinesische Studentenbewegung von 1989).

Zweitens animiert und mobilisiert das kollektive, gemeinsame Wir-Gefühl kognitiv, emotional und manchmal sogar moralisch. Die gemeinsamen Wahrnehmungen und Gefühle einer gemeinsamen Ursache, Bedrohung oder eines Schicksals, die das gemeinsame Wir-Gefühl ausmachen, motivieren die Menschen, gemeinsam im Namen oder für die Interessen der Kollektivität zu handeln, und erzeugen so das zuvor erwähnte Gefühl der kollektiven Handlungsfähigkeit. Dieses Potenzial liegt in sozialen Identitäten, aber sie funktionieren typischerweise eher wie Orientierungsmarker, wenn die Routinen des Alltags ausgehandelt werden. Wenn sie affektiv und moralisch aktiviert oder infundiert werden, kann argumentiert werden, dass sie in kollektive Identitäten umgewandelt wurden. Drittens bedeutet die Entstehung und das Funktionieren kollektiver Identitäten, dass andere soziale Identitäten vorerst an Relevanz und Bedeutung verloren haben. Mit anderen Worten, kollektive Identitäten haben, wenn sie wirksam sind, im Allgemeinen Ansprüche auf — weniger normativ als kognitiv und emotional — andere Identitäten in Bezug auf das Objekt der Orientierung und den Charakter entsprechender Handlungen. Beispiele gibt es zuhauf, wie häufig bei vielen Protestversammlungen beobachtet, ergreifende Modeerscheinungen, freudige und feierliche Sportmengen, und die konzertierten Kampagnen und Aktionen, die mit dem Aktivismus der sozialen Bewegung verbunden sind. Viertens, während kollektive Identitäten und persönliche Identitäten offensichtlich unterschiedlich sind, sind sie immer noch sehr stark in dem Sinne miteinander verbunden, dass kollektive Identitäten teilweise auf der Umarmung der relevanten kollektiven Identität als einem sehr hervorstechenden Teil ihrer persönlichen Identität und ihres Selbstgefühls beruhen (Gamson 1991). Schließlich, während die Zuschreibung oder das Bekenntnis aller Identitäten interaktiv kontingent ist, Kollektive Identitäten sind in der Regel flüssiger, vorläufig, und vergänglich als entweder kategorisch basierte soziale Identitäten oder sogar persönliche Identitäten.

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