Was sind Community-Medien?
Interview mit Nadia Bellardi, Community Media Forum Europe, 11.Mai 2009
1. Was sind die Ziele von Community Media?
Gemeinschaftsmedien geben den Menschen in Hunderten von Gemeinschaften, insbesondere Frauen und marginalisierten Gruppen, die Kommunikationsmittel in die Hand und ermöglichen ihnen, ihre eigenen Mittel des kulturellen Ausdrucks, der Nachrichten, der Information und des Dialogs zu schaffen. Community Media-Projekte werden auf einer gemeinnützigen, demokratischen Basis durchgeführt und basieren auf freiwilliger Beteiligung von Mitgliedern der Zivilgesellschaft an der Programmgestaltung und -verwaltung.
Gemeinschaftsmedien tragen zur Stärkung der Rechte der Menschen bei, um ihre sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern, Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen, sich wirksamer an der demokratischen Entwicklung ihrer Gemeinschaft und ihres Landes zu beteiligen und eine Alternative zu kommerziellen Mainstream-Inhalten zu bieten.
2. Wie beurteilen Sie die aktuelle Beteiligung schwarzer und ethnischer Minderheiten an schweizer und europäischen Medien?
Die Situation ist von Land zu Land sehr unterschiedlich und hängt eng mit der Geschichte der Migrationsströme, den Beziehungen zu ehemaligen Kolonialgebieten und aktuellen Ansätzen der Integrationspolitik zusammen.
Trotz mehrjähriger Entwicklung bewährter Verfahren zur Förderung der Beteiligung von Minderheiten an den Medien in Ländern wie dem Vereinigten Königreich, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich sind Minderheiten in den traditionellen europäischen Medien immer noch weitgehend unterrepräsentiert. Die Schweiz hat eine jüngere Migrationsgeschichte aus außereuropäischen Ländern und viele Minderheiten sind Flüchtlinge oder Asylsuchende, die unter äußerst prekären Bedingungen und ohne Zugang zu beruflichen Karrierewegen leben. Einige nutzen die Kanäle des Community Radios, um die Diasporagemeinden in der Schweiz (und auch weltweit per Internet) über die politische Situation in ihren Heimatländern (z.B. Somalia, Iran, Sri Lanka, Kurdistan, …) und auch über die Herausforderungen der Ansiedlung in einem neuen Land zu informieren.
In Mittel- und Osteuropa bieten die Medien des ersten und zweiten Sektors Minderheitengruppen, insbesondere der Roma-Bevölkerung, fast keinen Zugang oder keine gezielte Programmgestaltung. Community Media hat das Potenzial, diese Lücke zu füllen, aber in den meisten Ländern fehlt das notwendige Medienumfeld.
3. Welche Rolle können die Medien bei der Förderung von Vielfalt und sozialem Zusammenhalt in der Schweiz und in Europa spielen?
Medienschaffende spielen zweifellos eine Schlüsselrolle als interkulturelle Mediatoren, als privilegierte Akteure, die Verantwortung und Macht tragen. Kulturelle Konflikte sind untrennbar mit Kommunikationsproblemen verbunden, dh mit der Fähigkeit, kulturelle Botschaften zu senden und zu verstehen. Der sogenannte ‘Clash of Civilizations’ resultiert oft eher aus mangelnder Kommunikation als aus widersprüchlichen Interessen und Werten. Ein weniger ethnozentrischer und interkultureller Ansatz bei der Erstellung, Auswahl und Verbreitung von Medieninhalten könnte Toleranz und friedliches Zusammenleben fördern.
Insbesondere die Behandlung der Migration durch die Massenmedien hat unmittelbare Auswirkungen sowohl auf die gesellschaftliche Debatte als auch auf die öffentliche Meinung. Medienschaffende sollten ein genaues Bild der Einwanderung vermitteln und Sensationsgier, Verharmlosung oder Bevormundung vermeiden. Informationen über die Herkunftskulturen der wichtigsten Migrantengemeinschaften und über die normalen Aspekte des Migrationsphänomens in der Gesellschaft können dazu beitragen, Ablehnung und Misstrauen zu überwinden.
Zum konkreten Flüchtlingsthema kommentiert das Handbuch zur Menschenrechtsberichterstattung der Internationalen Journalistenföderation:
“Flüchtlinge sind oft die am meisten missbrauchten Minderheitengemeinschaften, da sie in großer Zahl in einem Land ankommen und vor Gewalt und Unterdrückung fliehen. Sie sind als Gruppe sichtbar und haben keinen natürlichen Schutz. Sie sind in der Regel in armen Gegenden untergebracht, wo sie anfällig für Ressentiments von Menschen sind, die nur wenig mehr haben als sie. Journalisten können keine Spaltungen in der Gesellschaft heilen oder den Flüchtlingen zugefügten Schaden rückgängig machen. Aber wenn Journalisten über Flüchtlinge und ihre Nachbarn schreiben, können sie die vielfältigen Perspektiven widerspiegeln und versuchen zu zeigen, dass die meisten Familien dasselbe wollen: in Sicherheit, Frieden und menschenwürdigen Bedingungen zu leben.”
Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Medien, die Erhöhung und Verbesserung der beruflichen Ausbildung und letztendlich die Einbeziehung der interkulturellen Massenkommunikation in die politische Agenda sind einige der erforderlichen Maßnahmen.
4. Sollten die traditionellen Medien ermutigt werden, in einem zunehmend multikulturellen Umfeld soziale Verantwortung zu übernehmen?
Ja. Die Verantwortung für die Förderung interkultureller Beziehungen liegt nicht nur bei den Gemeinschaftsmedien. Die Vielfalt der Gesellschaft sollte auch durch die Mainstream-Medien repräsentiert und kommuniziert werden.
Journalisten können eine wichtige Rolle bei der Verhinderung der Verbreitung von Fremdenfeindlichkeit spielen, indem sie universelle Werte vermitteln, die in allen Kulturen präsent sind. Bis jedoch eine stärkere Einbeziehung aller Minderheiten (ethnischer, religiöser, kultureller oder anderer) in die Medien – als Medienschaffende und als etablierte Informationsquellen – erreicht ist, wird die Repräsentation von Vielfalt zwangsläufig partiell bleiben.
Vielfalt wird am besten von denen repräsentiert und kommuniziert, die sie verkörpern. Die Erleichterung der Rekrutierung von Medienfachleuten mit unterschiedlichem Hintergrund oder von Minderheiten sollte ein Ziel der traditionellen Medien sein. Minderheitenvereinigungen müssen auch proaktiv sein, zum Beispiel durch die Erstellung und Aktualisierung von Listen qualifizierter Fachkräfte und freier Mitarbeiter, die über Gewerkschaften und Universitäten verbreitet werden sollen.
Es ist interessant, die Situation in den Vereinigten Staaten in Bezug auf die Beteiligung von Minderheiten am Medienberuf zu betrachten.
1997 heißt es in “We the media – A citizens’guide to fighting for media democracy” von Don Hazen und Julie Winokur: “Nur 5% der Reporter in den Vereinigten Staaten sind schwarz, was den Journalismus zu einem der am stärksten getrennten Berufe des Landes macht. Der Mangel an schwarzen Journalisten ist einer der Hauptgründe, warum die Medien die Gewalt und Schwäche der schwarzen Gemeinschaft konsequent überberichten und den schwarzen Alltag und seine Stärken unterberichten.”
Die Situation in den Vereinigten Staaten hat sich seitdem teilweise verbessert, aber die Eintrittsbarrieren in die Medienwelt sind immer noch hoch.
5. Welche Dienstleistungen können die Medien den ethnischen Minderheiten in der Schweiz und in Europa anbieten?
Für viele Mitglieder von Migrantengemeinschaften bedeutet der Mangel an geeigneter Infrastruktur, Geld und ausgebildetem Personal große Nachteile für sie, Informationen über ihre Realitäten zu verbreiten. Der Zugang zu Medien und die reale Möglichkeit der Beteiligung an Medienproduktion und -konsum können bestimmte benachteiligte soziale Gruppen stärken. Durch die Ermöglichung dieses Zugangs und die Bereitstellung der erforderlichen Schulungen spielen Community Media eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Partizipation, der sozialen Eingliederung und der demokratischen Rechte von Migranten oder ethnischen Minderheiten.
Gemeinschaftsradios und Fernsehsender ermöglichen es den Menschen, sich zu vernetzen, Verantwortung für das Projekt zu übernehmen, an dem sie beteiligt sind, indem sie sich an dessen Management und Organisation beteiligen und nicht nur an der Produktion von Inhalten. Community-Medien sind Orte, um neue Fähigkeiten zu erlernen, neue Leute kennenzulernen, interkulturelle Dynamiken zu erleben, mit Aktivisten auf der ganzen Welt in Kontakt zu treten und Unterstützung zu leisten, wo sie benötigt wird.
6. Welchen Beitrag haben ethnische Minderheiten in den letzten 25 Jahren zur Entwicklung der Community Media in der Schweiz und in Europa geleistet?
Radioaktivisten aus der ganzen Welt, insbesondere aus Lateinamerika, engagieren sich seit vielen Jahren in Medienprojekten der europäischen Gemeinschaft und bereichern diese Projekte mit Erfahrungen des Aktivismus aus ihren Herkunftsländern. Themen wie soziale Gerechtigkeit, Menschenrechte und Gleichstellung der Geschlechter stehen ganz oben auf der Agenda vieler Minderheitengruppen, und Community Media ist das natürlichste und effektivste Ventil, um diese Probleme anzugehen und sich mit globalen sozialen Bewegungen zu vernetzen.
Das Engagement und die Beteiligung lokaler Medienprojekte ist für viele Minderheitengruppen eine Priorität, da diese Projekte es ihnen ermöglichen, die Mitglieder ihrer Gemeinschaften zu erreichen, relevante Informationen und Nachrichten auszutauschen und Inhalte in verschiedenen Sprachen bereitzustellen.
7. Welche Maßnahmen wurden auf nationaler oder europäischer Ebene ergriffen, um Gemeinschaftsmedien in Gebieten, in denen ethnische Minderheiten leben, zu fördern und zu entwickeln?
In mehreren Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden, Irland, dem Vereinigten Königreich und Ungarn sind die Gemeinschaftsmedien als eigenständiger dritter Sektor des Rundfunks anerkannt, der die öffentlich-rechtlichen Medien und die kommerziellen Medien ergänzt und ergänzt. Es gibt verschiedene Rahmenbedingungen, die von der einfachen Vergabe von Lizenzen bis hin zu angemessenen Finanzierungs- und Unterstützungssystemen für Community-Medien reichen.
In vielen anderen europäischen Ländern behindert die fehlende rechtliche Anerkennung und Finanzierung jedoch immer noch die Entwicklung der Gemeinschaftsmedien. Organisationen wie CMFE und AMARC setzen sich für Gesetze und Richtlinien ein, die einen fairen und gerechten Zugang zu Rundfunkverteilungsplattformen, einschließlich digitaler, für Community-Medien gewährleisten.
Zwei kürzlich veröffentlichte europäische Erklärungen erkennen die Rolle der Gemeinschaftsmedien für die soziale Eingliederung und den interkulturellen Dialog an:
• Der Bericht des Europäischen Parlaments über Maßnahmen zur Unterstützung der Gemeinschaftsmedien in Europa zur Gewährleistung eines pluralistischen Medienumfelds und der kulturellen Vielfalt, angenommen am 25.September 2008.
* Die vom Ministerkomitee des Europarates am 11.Februar 2009 angenommene Erklärung über die Rolle der Gemeinschaftsmedien bei der Förderung des sozialen Zusammenhalts und des interkulturellen Dialogs.
Diese beiden wichtigen Dokumente werden dazu beitragen, die Politik zugunsten der Gemeinschaftsmedien in Europa und in den Ländern, in denen Nachhaltigkeitsfragen noch angegangen werden müssen, weiter voranzutreiben.
8. Wie kann die Zusammenarbeit des Europarates mit Medienpartnern im Rahmen der Kampagne ‘Speak Out Against Discrimination’ zur Entwicklung von Gemeinschaftsmedien beitragen?
Die Teilnahme an der Antidiskriminierungskampagne des Europarates als Medienpartner ist eine wichtige Gelegenheit für die Gemeinschaftsmedien, da sie ihre Rolle neben den öffentlichen und kommerziellen Medien bei der Gewährleistung von Medienpluralismus und -vielfalt erneut bestätigt. Es ist eine Anerkennung der täglichen Arbeit von Tausenden von Freiwilligen der Community Media, die sich für die Bekämpfung von Ausgrenzung und Stimmlosigkeit durch alternative Berichterstattung und unvoreingenommene Nachrichten einsetzen.
Gemeinschaftsmedien können auch dazu beitragen, die Kampagne sichtbar zu machen und das Bewusstsein für Maßnahmen zum Schutz und zur Verteidigung der Rechte von Opfern von Rassismus und Diskriminierung weiter zu schärfen.
Dieses Interview wurde ursprünglich auf dieser Website veröffentlicht.